Wann Wieviele Wohin


Empfangsgebäude des 
ehemaligen Güterbahnhofs Dresden-Neustadt/Alter Leipziger Bahnhof  am 21.Januar 2022 mit 3 Emailleschildern  © David Adam

Der Eröffnungszug der ersten deutschen Ferneisenbahnverbindung brauchte am 7. April 1839 etwa 4 Stunden von Leipzig hierher nach Dresden. In den von zwei englischen Lokomotiven gezogenen Wagen hatte es sich unter anderem die königliche Familie bequem gemacht. Entlang der Strecke herrschte Volksfeststimmung.


Neustädter Güterbahnhof als Postkartenmotiv um 1910

Am 21. Januar 1942 wurden im ersten Transport sächsischer Jüdinnen und Juden 785 Menschen über Leipzig und Dresden nach Riga deportiert. Aus dem Gestapobezirk Leipzig kamen 561 und aus Dresden 224 Deportierte. Nach 4 Tagen erreichte der Zug Riga.

Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm "Wir haben es doch erlebt. Das Ghetto von Riga" von Jürgen Hobrecht © Phönix Medienproduktion 2013

Zwischen 1942 und 1944 war der Güterbahnhof Dresden-Neustadt - auch Alter Leipziger Bahnhof genannt - Ausgangspunkt oder Zwischenstation für Deportationen jüdischer Frauen, Männer und Kinder in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager.


Deportation und Vernichtung - Ereignis ohne Zeugnis? 

Unter diesem Titel beschäftigt sich Track 11 des Audio-Stadtrundgangs "audioscript - Zur Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Dresden 1933 - 1945" mit der Geschichte der Deportationen aus Dresden sowie mit den Zeugnissen der wenigen Überlebenden und kontextualisiert sie historisch und philosophisch. http://www.audioscript.net




Seit 2001 erinnert die Inschrift einer von Marion Kahnemann www.mkahnemann.de gestalteten Gedenkanlage an die Ereignisse -
einige hundert Meter entfernt neben dem rechten Eingangsportal des Bahnhofs Dresden-Neustadt.





Videoinstallation zur Erinnerung an die Deportationen auf der Fassade des Empfangsgebäudes am 9. November 2021  © David Adam


Wie sollte eine angemessene Bezeichnung und Gestaltung des ehemaligen Güterbahnhofes mit seiner Geschichte und Funktion aussehen?
Sollte es einen lebendigen Erinnerungsort oder gar ein jüdisches Museum an dieser Stelle geben?
Stadtmuseum Dresden - Blog zu Jüdisches Museum Dresden?
Wie könnte dieser Ort und seine Geschichte in die Erinnerungslandschaft dieser Stadt eingebunden werden?
Beispiel Stadtgeschichtliches Museum Leipzig 


Verschiedene Initiativen haben sich in den letzten Jahren bereits intensiv mit dem Ort und seiner Geschichte befaßt.
 

Dresdner Mahndepots - Güterbahnhof Neustadt 2001
audioscript zur Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Dresden 2008
Initiative Wohnen am Leipziger Bahnhof 2017
Mahngang Täterspuren 2019


Der andere Blick


Alter Leipziger Bahnhof im Dezember 2021. © Johannes Schönecker

Stadtwiki Dresden Leipziger Bahnhof
Stadtwiki Dresden Güterbahnhof Dresden-Neustadt

Wer


Standbild aus "Die Zusammenlegung der letzten Juden Dresdens"  © StSG

Eine offizielle Liste mit allen Namen der am 21.01.1942 aus Dresden nach Riga deportierten (höchstwahrscheinlich) 224 Menschen existiert nicht. In jahrelanger Kleinarbeit wurden 205 Namen ermittelt.
(Stand vom Januar 2022, Quellen: Konrad Adolph; Archiv Buch der Erinnerung; Gedenkbuch)
Liste der Deportieren von Dresden nach Riga

Deportation, Ghetto, Konzentrationslager, Zwangsarbeit oder Todesmarsch haben 19 Menschen dieses Transportes überlebt. Zwei Personen starben aber kurz nach der Befreiung.

Für Leipzig hingegen existiert eine offizielle Deportationsliste.
Liste der Deportieren von Leipzig nach Riga


Ausschnitt aus dem Erlebnisbericht des Überlebenden Esra Jurmann  © USC Shoah Foundation 1997


Esra mit seinem Vater 1946 in London  © Danny Jurmann

Ersa Jurmann, geboren am 20.05.1929 in Pirna, war nach seinem Bruder Manfred der zweite Sohn von Abraham Wolf Jurmann und seiner Frau Berta, geborene Fliegelmann, die bis zum 9. November 1938 ein Bekleidungsgeschäft am Markt 14 in Pirna betrieben hatten.
Mehr zur Familie Jurmann auf gedenkplätze.info
Bericht des jüdischen Überlebenden Esra Jurmann in voller Länge © USC Shoah Foundation



Manfred Ogrodek 1945(?)  © Manfred Ogrodek

Manfred Ogrodek, geboren am 24.09.1930 in Dresden, war der erste Sohn von Hersch/Hans Ogrodek und seiner Frau Dora, geborene Sander und hatte den jüngeren Bruder Detlef. Seine Mutter starb bereits am 22.09.1941 an Krebs. Sein Vater war als Schneider und Kaufmann Inhaber eines Geschäftes für Web-, Woll- und Weißwaren am Altmarkt 15 in Dresden. 
Mehr zur Familie Ogrodek im "Buch der Erinnerung"

Manfred überlebte und schrieb 1948 einen Erlebnisbericht:
Manfred Ogrodek - Einer von vielen


Namensliste zum Transport am 13. Juli 1942 nach Auschwitz (16 Menschen) fehlt

Namensliste Auschwitztransport 2./3. März 1943 (293 Menschen) Arolsen Archives

Start
Liste Auschwitz 01
Liste Auschwitz 02
Liste Auschwitz 03
Liste Auschwitz 04


Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm "Die Juden sind weg. Das Lager Dresden-Hellerberg" © E.Hirsch/U.Teschner 1997

The Jews are gone im Filmarchiv von Yad Vashem


Bereits im Oktober 1938 war es zu einer ersten großflächig organisierten Deportation gekommen, der sogenannten "Polenaktion". Vom Bahnhof Dresden-Neustadt wurden dabei 724 jüdische Menschen polnischer Abstammung, die vorher verhaftet wurden, ausgewiesen und in einem "Sonderzug" nach Bentschen/Zbąszyń an der damaligen deutsch-polnischen Grenze gebracht. (Alfred Gottwald schrieb allerdings von Beuthen in "Schuhe von Toten", MHM Dresden, 2014, S. 80)
Für den Transport am 28. Oktober 1938 vom Bahnhof Dresden-Neustadt (724 Personen) als Teil der sogenannten "Polenaktion" ist keine offizielle Namensliste bekannt.
Bruchstuecke1938 - Die Polenaktion
Gedenktafel zur "Polenaktion" in Leipzig

Am 11./12. November 1938 wurden in der Folge der Reichspogromnacht 151 jüdische Menschen aus dem Regierungsbezirk Dresden ins KZ Buchwald verschleppt. (Quelle: Schuhe von Toten, MHM Dresden, 2014, S.80, Alfred Gottwaldt)


Kurt Sabatsky, Erinnerung an seine Verhaftung und den Transport von Dresden nach Buchenwald am 10.11.1938
Kurt Sabatsky - Center for Jewish History - Leo Baeck Institute Archives S.39

Kurt Sabatzky, geb. am 23.04.1892 Köslin (Pommern), war Jurist, Journalist, Verbandsfunktionär
1922–1923 Syndikus des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens in Leipzig, 1923–1932 Geschäftsführer des Centralvereins in Ostpreußen und 1933–1938 des Landesverbands Sachsen und Anhalt in Leipzig; Mitglied des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten und des B’nai B’rith; zeitweise KZ-Haft in Buchenwald; 1939 Geschäftsführer der Synagogengemeinde Essen; 1939 Emigration nach Großbritannien, dort ab 1943 für jüdische Organisationen tätig.


Zwischen 1942 und 1944 fanden weitere Deportationen aus Dresden statt, die nicht mit der Deutschen Reichsbahn abgewickelt wurden. Dabei transportierte man mindestens 429 Menschen per LKW in Gruppen- und Einzeltransporten nach Theresienstadt. (Quelle: Schuhe von Toten, MHM Dresden, 2014, S.92, Alfred Gottwaldt)
1942
http://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_mid_420701.html
1943-1945
http://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_mid_43t.html


Die für den 16.2.1945 geplante Deportation der am 12.2. bereits von der Staatspolizeileitstelle benachrichtigten "letzten" Juden aus Dresden kommt durch den Bombenangiff vom 13./14.2.1945 nicht mehr zustande.


Victor Klemperer, Tagebucheintrag vom 13.02.1945, aus "Schuhe von Toten", Seite 269, MHM Dresden, 2014

Victor Klemperer am 13. Februar 1945:
Gesten nachmittag ließ mich Neumark hinüberrufen; Ich müßte heute vormittag beim Austragen von Briefen behilflich sein. Ich nahm das ahnungslos hin. (...) Um acht Uhr war ich dann heute bei Frau NeumarkFrau Jährig kam weinend aus seinem Zimmer. Dann sagte er mir: Evakuation für alle Einsatzfähigen, es nennt sich auswärtiger Arbeitseinsatz, ich selber als Entpflichteter bleibe hier. Ich: Also für mich sicherer das Ende als für die Herausgehenden. Er: Das sei nicht gesagt, im Gegenteil gelte das Hierbleiben als Vergünstigung. (...) Das auszutragende Rundschreiben besagte, man habe sich am Freitag früh im Arbeitsanzug mit Handgepäck, das eine längere Straecke zu tragen sei, und mit Proviant für zwei bis drei Reisetage in der Zeughausstraße 3 einzufinden. Vermögens-, Möbel- etc. Beschlagnahme findet diesmal nicht statt, das ganze ist ausdrücklich nur auswärtiger Arbeitseinsatz - wird aber durchweg als Marsch in den Tod aufgefaßt. Dabei kommen die grausamsten Zerreißungen vor: Frau Eisenmann und Schorschi bleiben hier, Lisl, die elfjährige Sternträgerin, muß mit Vater und Herbert fort. Man nimmt auf Alter weder nach oben noch nach unten, weder auf siebzig noch auf sieben Rücksicht - es ist unbegreiflich, was man unter >arbeitsfähig< versteht.




Ausschnitt aus dem Interview mit Henny Brenner © Zentralwerk 2015


Henny Brenner im September 1941  © MHM

Henny Brenner, geb. als Henny Wolf am 25.11.1924 in Dresden und Tochter von Rebekka und Max Wolf, war eine jüdisch-deutsche Zwangsarbeiterin bei Zeiss-Ikon in den Göhle-Werken. Ihr Vater war u.a. Betreiber des Kinos "Palast-Theater" in der Alaunstraße 28. In Das Lied ist aus (2001) berichtet sie über ihr Leben in Dresden und die Rettung ihrer Familie durch die Bombardierung am 13.02.1945.
Ganzes Filminterview mit Henny Brenner

Deportationsziele


Auschwitz-Birkenau, Ende Januar 1945  © Bundesarchiv, B 285 Bild-04413  Stanislaw Mucha


Start
Hermann Goehring an R.Heydrich zur Endlösung der Judenfrage
Reinhard Heydrich an M.Luther nach der Wannseekonferenz
Wannseekonferenz S.6 des Protokolls Anzahl der zu vernichtenden Menschen

 
Neu-Bentschen/Zbąszyń    Beuthen    Konitz
Jüdisches Museum Berlin "Polenaktion" 1938

Buchenwald
Gedenkstätte Buchenwald

Riga/Rīga 
Riga Ghetto and Latvian Holocaust Museum
Gelsenzentrum Riga
Wanderausstellung des Riga-Komitee


Zwei Lieder aus dem Lager Strasdenhof (Außenlager des KZ Kaiserwald in Riga) gesungen von Esra Jurmann, Aufnahme um 2000, von Hugo Jensch


Nach der Befreiung 1945 auf dem Rückweg von Esra Jurmann im ehemaligen Ghetto Litzmannstadt gefundene Münze

Theresienstadt/Terezín
Gedenkstätte Theresienstadt

Start
Zuglauf Da71 Aachen-Dresden-Theresienstadt am 25.07.1942

Auschwitz/Oświęcim
Auschwitz-Birkenau
Geschichte des Konzentrationslagers Auschwitz


  Postkarte von Fritz (1905-1943) und Ilse Wolffsky (1913-1943) an Adolf Wolffsky (1898-1975) anlässlich ihrer Deportation, Tichau, 27.06.1943
  Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Jon Wolffsky 

Transkript: „Gruß an Alle! Vergeßt uns nicht! Fritz Ilse Micki 27/6.43 2 Uhr nachm.“

Fritz Wolffsky, der jüngere Bruder von Adolf Wolffsky, wurde zusammen mit seiner Ehefrau Ilse und seinem halbjährigen Sohn Denny am 28. Juni 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert. Einen Tag später schrieben sie diese wohl vorher mit der Adresse versehene Postkarte; vermutlich während der Zugfahrt, wie die krakelige Schrift beweist. Die Karte besteht aus wenigen, dramatischen Worten: "Gruß an Alle! Vergeßt uns nicht!" Vermutlich warfen Fritz und Ilse Wolffsky die Karte aus dem Zug und der Finder sandte sie vom oberschlesischen Tichau, 15 km südlich von Kattowitz gelegen, nach Berlin.




Bahnlinien für Deportationen von oder über über Dresden,  aus "Schuhe von Toten" S.90/91 T.Zimmermann © MHM 2014

Materialien


Shoah, Claude Lanzmann, 1985 © Absolut Medien


Start
01 Buch der Erinnerung
02 Schuhe von Toten
03 Die Erinnerung hat ein Gesicht
04 Manfred Ogrodek. Einer von vielen. 1948
05 Victor Klemperer Tagebücher
06 Juden in Pirna
07 Vor allen Dingen war ich ein Kind
08 Das Lied ist aus
09 Klemperer LTI
10 NS-Terror und Verfolgung in Sachsen
11 Wir haben es doch erlebt
12 Die Juden sind weg
13 Nacht und Nebel
14 Shoah
15 Der Karski-Bericht
16 Raul Hilberg Vernichtung
17 Kogon SS-Staat
18 Borowski Steinerne Welt
19 Amery Jenseits von Schuld und Sühne
20 Anne Frank Tagebuch
21 Semprun Die Große Reise
22 Kertész Roman eines Schiksallosen
23 Levi Ist das ein Mensch
24 Tisma Kapo


Autobiografische Literatur zum Holocaust
Yad Vashem Videoberichte
Medaon Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung

Perspektiven

Luftbild Alter Leipziger Bahnhof, Dietrich Flechtner, 2013


Der vergessene Bahnhof
Sächsische Zeitung vom 9.3.2013

Initiative Wohnen am Leipziger Bahnhof
Sachsen Fernsehen vom 18.09.2017

Leipziger Bahnhof
Industriekultur Sachsen 2020

Und der Hanse zugewandt
Podiumsdiskussion in der Hanse 3 am 29.09.2020

Was wäre wenn
Neustadt-Geflüster vom 26.06.2021

Freiraum direkt 
Projekt der Geh8 im Sommer 2021

Beteiligungsverfahren geplant
Neustadt-Geflüster vom 11.01.2022

Das plant die Stadt
Akteursnetzwerk
DNN vom 18.01.2022

 

Städtebauliche Perspektiven
Handbuch zum Weiterdenken

 

Akteure auf dem Gelände

Atelierhaus
Hanse 3 e.V. im ehemaligen Signal- und Betriebswerk

Wagenplatz
Schotter und Gleise e.V.

Zentrum für zeitgenössische Jazz-Musik
Blaue Fabrik e.V.

 


Güterabfertigung Dresden-Neustadt um 1920

 

 

 

Wann-Wieviele-Wohin enstand anläßlich des 80. Jahrestages der Deportation jüdischer Frauen, Männer und Kinder von Dresden nach Riga vom 21.01.1942.

Mit freundlicher Unterstützung und gefördert durch:

Besonderer Dank gilt allen Personen, Initiativen und Organisationen, die in langjähriger Arbeit Informationen zusammengetragen, Vergessenes erforscht, Unbekanntes ans Licht gehoben, Archive besucht sowie Überlebende und Zeitzeugen befragt haben und auf deren Arbeit hier zurückgegriffen und verwiesen werden darf.

Für ihre direkte Unterstützung und Anregung danke ich herzlich:
Hildegart Stellmacher, Barbara Lubich, Christina Ludwig, Bettina Bruschke, Dieter Gaitzsch, Anja Epperlein, Annekatrin Klepsch, Claudia Blaurock, Olaf Höfler-Mey, Arvidh Aslak Kaniewski, Johannes Schönecker, Thomas Freier, Gunda Ulbricht, Gabriele Atanassow, Konrad Adolph, Danny Jurmann, Manfred Ogrodek, Anne Birkenhauer-Molad, Katharina Wüstefeld, Andrè Lang, Martin Schulze, Johanna Boland, Armin Lorenz, Hugo Jentsch, Jürgen Hobrecht, Giora Zwilling, Gorch Pieken, Ernst Hirsch, Isabel Avila Mora, Cornelius Höppner, Gero Dumrath, Daniel Ristau

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